Nachdem die 59. Salone internazionale del Mobile in Mailand April 2020 auf Grund der weltweit grassierenden Epidemie erst verschoben und dann abgesagt wurde, rückte Neapel mit der von Emilia Petruccelli (Gründerin des Design Shops Galleria Mia) und Domitilla Dardi (Kuratorin des MAXXI Museums in Rom) organisierten Ausstellung Edit Napoli ins Scheinwerferlicht aller Design-Durstigen. Vom 16. bis 18. Oktober präsentierten sich im und um das Complesso di San Domenico Maggiore nicht nur italienische Größen, sondern auch die (noch) Kleinen auf internationalen Terrakottafliesen.
Edit Napoli 2020
Als römisch-katholische Kirche und Kloster im gotischen Stil erbaut, findet sich das Complesso di San Domenico Maggiore im historischen Zentrum Neapels, eingespannt zwischen der aus antiken Stadtbauzeiten stammenden Decumanus Maggiore (Via dei Tribunali) und der Spaccanapoli (Via Benodotte Groce) wieder. Der Hof der Anlage wird über eine schmale Querstraße, in die nur wenig Licht seinen Weg hinein findet, erschlossen. Gingen bis Ende des 19. Jahrhunderts noch die Mönche des Dominikaner Ordens diese Meter, so sind es an diesem Wochenende die Gläubigen des guten Designs. Den Duft der Straßen von der letzten Nacht in der Nase und den süßen Geschmack der Sfogliatelle noch vom Frühstück auf den Lippen, taucht man aus dem neapolitanische Trubel ab hinein in einen Ort der Sinne und Kreativität.
Vom Chiostro des Klosters, damals wie heute der Dreh- und Angelpunkt des klösterlichen Geschehens, 2020 um das Edit Café mit den von Giuliano Andrea dell’Uva designten Carpet Fliesen aus dem traditionsreichen Haus Ceramica di Viertri Francesca de Maio ergänzt, zwingt die flach geneigte Treppe zum langsamen Aufsteigen und gibt dem Besucher die Chance einen vorerst letzten Blick auf die vier Statuen dominikanischer Heiliger, umringt mit, in der gleichen Art traditionell geflochtener Fischernetze, handgefertigter Sessel, Hocker und Tische der Moroso M’Afrique Collection, zu werfen. Zwar als Gartenmöbel gedacht, aber durch die kräftigen Farben und exzentrisch geschwungenen Lehnen, die selbst Neapels Sirene Parthenope bezirzen würden, weit aus mehr als ein Sitzgelegenheit für den heimischen Garten.
Auf dem Weg in die ehemalige Bibliothek des Klosters beeindruckt der eigens für die Ausstellung geschaffenen Wandteppich mit zeitgenössischen Emblemen der Stadt Neapel. Das Rotterdamer Design Kollektiv 75B knüpft mit seinen stadtspezifischen Kreationen an eine alte Handwerkskunst an und lässt Sehnsüchte nach einer mindestens vier Meter hohen weißen Wand im eigenen Heim aufkommen. Wem diese fehlt kann sich einem der kleineren Nachdrucke der Designs erfreuen.
Die Ausstellung im Bereich der Biblioteca besticht ganz im Sinne der früheren Nutzung durch seine stillen Schönheiten. Die sanften Wellen der Madrepora Schalen von Studio Zero in off-white und anthrazit Tönen versetzen die Brandungen der Amalfiküste farblich in die bergige Regionen Norditaliens, während die zarten Kubaturen der tanzenden Menadi Vasen in altrosa bis creme die Hüften nach links oder rechts schwingen lassen. Konventionelle Gegenstände in Kunstobjekte zu verwandeln, ohne dabei sie ihrer Funktion zu berauben, weiß auch das vom Architekten Gae Avitabile gegründete Label Tana Design Studio zu verstehen. So hinterfragt das neueste Werk des Bean Projekts, ein Sessel, die kastenartige Verwendung von Materialen und sprengt veraltete Regeln, die Do’s and Dont’s im Möbeldesign.
Der Capitolo ist im Gegensatz zur Bibliothek der Raum in dem einige wenige Mönche das Recht hatten während des Schreibens des Kapitels zu sprechen. Im Complesso di San Domenico Maggiore ist der Kapitelsaal auf Grund seines jungen Alters (Ende des 17. Jhd.) nicht nur der am besten erhaltene Raum des Klosters, sondern auch der lauteste der Ausstellung. Der aus hängenden Kupfer-, Bronze- und Edelstahlstäbchen bestehende Raumtrenner Marantò von MYOP, ein Zusammenschluss sizilianischer Künstler, erklingt beim Streifen eines jeden Besuchers durch den Raum und erweckt Kindheitserinnerung an das beruhigende Geräusch eines chilenischen Regenstabs aus Kaktusrohr. Zusammen mit den Tönen des Regenvorhangs fliegen die gläsernen Muscheln, Quallen und Federn um den der Lagunenstadt Venedig gewidmeten Kronleuchter von Sylcom Light und gehen mit Casimo Fanzagos Stuckarbeiten und Michele Ragolìas Wandmalerei eine Sinne berührende Komposition ein.
Das Refettorio wäre nach all den Eindrücke der richtige Ort um sich am vom Klassizismus beeinflussten, aber durch seine Klarheit und seidig weicher Optik gekonnt in die Moderne übersetzten Fusto Esstisch aus Beton von Forma & Cemento niederzulassen und das Erlebte bei einer Runde Cedrata zu reflektieren. Wäre da nicht das Seminario, der Saal in dem die Mönche einst ihre Ausbildung erhielten, und das an diesem Wochenende jungen Talenten erstmalig in der Edit Napoli eine Bühne bietet. Es fasziniert die Schärfe im Design der metallenen Bunny Tables von Daniel Nikolovski oder der Weitblick Tom Robinsons, der nicht nur in seinem aus alten Tastaturen recycelte Plank Chair, sondern auch in Zusammenarbeit mit OIiver Statiano unter dem Namen Pieces einen modularen mitwachsenden Teppich, The Modular Rug, einen Nachhaltigkeitsgedanken verfolgt, der in Zeiten des mehr und mehr spürbaren Klimawandels und der voranschreitenden Umweltverschmutzung wichtiger denn je wird. Sein Debüt auf der Edit Napoli 2020 feierte auch Emanuele Ferraro, ein Münchner Architekt und Designer, mit seiner Isola Tischserie. Der großformatige Coffeetable Isola und der kleinere Beistelltisch Isolette, bilden durch verschieden hohe und verschieden große Tableaus eine farbstarke, monochrome Insellandschaft. Eine Hommage an die Heimat des Designers Capri. Nicht nur der Münchner Export Atelier Ferraro wäre im April 2020 auf der Salone del Mobile Milano geladen gewesen, sondern auch eine Vielzahl anderer Designer auf der Edit Napoli. Aufgeschoben heißt jedoch auch in Italien nicht aufgehoben, weshalb für April 2021 alle für 2020 geplanten Aussteller Teil sein werden.
Den Abschluss unserer Prozession führt uns schließlich die lange Treppe zum Chiostro wieder hinab, die Loggia des Klosters, im Sinne der Schöpfungsgeschichte, durch die Haute Couture Leuchten der mailänder Manufaktur Servomuto inzwischen hell erleuchtet, vorbei an den Heiligenstatuen, zurück in Neapels brummende Gassen. Und während man auf dem Weg zu Neapels bester Pizzeria für ein paar Momente einen Geigenmacher in seiner Werkstatt gegen sich selbst Schach spielen sieht, wird doch eins klar: Die Edit Napoli gab uns nicht nur eine Preview für Mailand 2021, sondern, wie die Organisatorinnen selbst erhofften, something beyond!